Besucher*innenströme digital lenken

Bericht der Fachkonferenz „Nachhaltigen Tourismus in Deutschland gestalten“

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Für die Tourismuswirtschaft war 2020 eine Katastrophe: Erstmals seit Deutschlands Wiedervereinigung wurden hierzulande unter 300 Millionen Übernachtungen registriert – fast 40 Prozent weniger als im Vorjahr. Andererseits ergab eine Auswertung anonymisierter Mobilfunkdaten, dass die Deutschen im Sommer und Herbst trotz Corona ähnlich oft verreisten wie vor Beginn der Pandemie. Zwar gab es viel weniger Flugreisen, doch inländische Ziele wie Rügen, das Allgäu, die Mecklenburgische Seenplatte oder das Moseltal verzeichneten Anstiege der Besucher*innenzahlen um mehr als 50 Prozent.

Was nicht ohne Konflikte blieb. „Die Zufahrtswege waren im Allgäu vielerorts so zugeparkt, dass nicht mal mehr die Rettungskräfte durchkamen“, berichtete Stephan Schuster von der allgäuer „Gesellschaft für Standort und Tourismus“. Ute Dicks, die Geschäftsführerin des „Deutschen Wanderverbands“ bestätigte den Ansturm: „2020 war der Tagesausflug die beliebteste Reiseform. Wanderkarten waren oft ausverkauft.“

Dicks und Schuster waren Referent*innen der Fachkonferenz „Nutzungsdruck in Zielgebieten und erfolgreiche Besucherlenkung“, die die NaturFreunde Deutschlands im Januar mit dem Verein „Ökologischer Tourismus in Europa“ veranstalteten. Den mehr als 400 Teilnehmer*innen aus Tourismusorganisationen, Schutzgebieten, Verwaltungen und der Politik wurde dabei deutlich, dass die Digitalisierung große Potenziale bei der Besucher*innenlenkung hat.

In der Lübecker Bucht beispielsweise misst die Tourismus-Zentrale die Auslastung der Parkplätze und des Ostsee- Strandes – was in Zeiten der Abstandsregeln wichtig ist. „Über ein Ampelsystem können wir die Standbesucher*innen lenken“, sagte André Rosinski von der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht und ebenfalls Tagungsreferent. Ist der Ansturm in einem Bereich zu groß, schaltet die Ampel auf Rot. Der „Strandticker“ – eine App – verrät dann, wo ein alternatives Plätzchen ist.

Einen anderen Ansatz präsentierte die „Gesellschaft für Standort und Tourismus“: Die „BayernCloud“ verspricht eine Besucher*innenlenkung mit Echtzeitdaten. „Jeder, der mit seinem Smartphone unterwegs ist, hinterlässt Datenspuren in der Natur“, erläuterte Stephan Schuster. Beispielsweise, wenn er aus dem einen Netzpunkt in den nächsten wandert: Solche passiven Mobilfunkdaten nutzt die „BayernCloud“, um etwa anzuzeigen, wie viel auf einem Wanderweg los ist.

Aber auch andere Techniken werden genutzt: Radverkehrszähler, Parkplatzdaten, Wlan-Zähler, sogar Satellitenbilder. „Ist eine Tour überlaufen, möchten wir Alternativen anbieten“, so Schuster. Aktuell sei das System noch in der Erprobung. In der Zukunft soll es bayernweit Tourist*innen eine Empfehlung für den Aufenthalt in der Natur bieten.

„Corona war eine Art Initialzündung für die Digitalisierung im Tourismus“, urteilte Professor Dirk Schmücker vom Deutschen Institut für Tourismusforschung. Mit solchen Auslastungsinformationen ließen sich nicht nur Besucher*innenströme lenken, sondern zum Beispiel auch Preise gestalten – „dort wo die Nachfrage groß ist, muss es teurer werden, wo sie niedriger ist, preisgünstiger.“ Allerdings funktioniere die Digitalisierung nur zusammen mit den analogen Strukturen vor Ort, zum Beispiel Wegweisern.

„Ostern kommt bestimmt“, prophezeite schließlich Ute Dicks – und riet den Akteur*innen vor Ort, sich jetzt darauf vorzubereiten. Beispielsweise empfahl sie das Gespräch mit dem Öffentlichen Personennahverkehr: „In der Regel ist der auf den Schulverkehr ausgerichtet.“ Bedeutet: Am schulfreien Wochenende gibt es kaum ein Angebot. Touristiker*innen jetzt in Pandemiezeiten in Kurzarbeit zu schicken, hält Dicks grundsätzlich für die falsche Idee: „Tourismus ist systemrelevant, wer Blechlawinen verhindern will, der muss jetzt die Arbeit machen.“

Sie machte aber auch deutlich, dass die Digitalisierung allein nicht für Entlastung sorgen könne. „Besucher*innen kann man nur von den Hotspots weglocken, wenn es attraktive Alternativen gibt“, erklärte Dicks. Die aber müsse jemand entwickeln und betreuen. „Für 93 Prozent aller Wanderer ist der Wegweiser auf einem Wanderweg immer noch wichtigster Orientierungspunkt.“ Also brauche es jemanden, der Wegweiser aufstellt und neue Angebote entwickelt.

„Die Corona-Pandemie mit ihren Reisebeschränkungen hat viele Menschen dazu gebracht, die touristischen Schätze in ihrem unmittelbaren Umfeld neu zu entdecken, quasi vor der Haustür“, schloss Katja Plume, die für die NaturFreunde Deutschlands die Konferenz organisiert hatte. „Für das Klima ist das sicherlich eine sehr gute Entwicklung, weil so unzählige Flüge und lange Autofahrten weggefallen sind.

Für die heimischen touristischen Hotspots allerdings bedeutet das viele neue soziale und ökologische Herausforderungen“, warnte Plume. Die NaturFreunde Deutschlands und der Verein „Ökologischer Tourismus in Europa“ planen drei weitere Fachkonferenzen zur Förderung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Deutschland.

Nick Reimer

Download Vorträge: www.naturfreunde.de/konferenz-besucherlenkung

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