Michael Müller und Hans-Gerd Marian über den "Kampf um Lebensraum"
Wie nie zuvor steht der Umwelt- und Naturschutz im Zentrum der öffentlichen Debatte. Mit der Globalisierung der Umweltzerstörung nimmt das über Jahrmillionen gewachsene Naturvermögen immer schneller ab. Der Glaube an die unbegrenzte Verfügbarkeit der natürlichen Güter erweist sich als große Illusion. Die Menschheit stößt an ihre ökologischen Grenzen, ja sie überschreitet diese bereits massiv. Fest steht: Im Kampf gegen die Klimakrise wurde viel zu viel Zeit verloren. Zwar wurde auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 der UN-Klimarahmenvertrag zur Reduktion der Treibhausgase einstimmig beschlossen und drei Jahre später der sogenannte Kyoto-Prozess eingeleitet, und dennoch haben sich die Kohlendioxid-Emissionen seitdem nicht verringert, sondern nahezu verdoppelt. Trotz der erdrückenden Fakten wird der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln immer größer. Wir sind die Zeugen einer gewaltigen Verdrängung.
Deren Ursache liegt allerdings nicht allein in einem Versagen der Politik oder im Widerstand von erheblichen Teilen der Wirtschaft wie der Gesellschaft gegen den ökologischen Umbau, sondern auch im Erstarken einer reaktionären Gegenbewegung. Klimawandelleugner, die fast alle aus der rechten Ecke kommen, verbreiten das Gift der Lügen und finden damit einen erstaunlichen Resonanzboden, und zwar nicht nur bei etlichen Journalisten wie dem „Welt“-Kolumnisten Henryk M. Broder, der das Umweltbundesamt in Anlehnung an die NS-Reichskulturkammer als „Bundesklimakammer“ verunglimpft, sondern vor allem in der AfD.
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Die Partei der neuen Rechten arbeitet eng mit dem Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE) zusammen, das den Klimawandel schlicht abstreitet. Vertreter von EIKE, bei dem es sich entgegen seinem Namen nicht um ein wissenschaftliches Institut handelt, sondern um einen Lobbyarbeit betreibenden Verein, haben die Umweltpolitik der AfD mitformuliert. Nach Eurokrise und Migration ist die Leugnung der Klimakrise mittlerweile das dritte Hauptthema der Nationalisten. Dabei hängt die Renitenz gegen die Klimapolitik aufs Engste mit dem Versuch der völkischen Neu- oder Wiederbesetzung des Naturschutz-Begriffs zusammen. [1]
Die deutsche Umweltpolitik kranke an Idealismus, so die AfD in ihrem Grundsatzprogramm. Überall herrsche eine Blockade-, Bremser- und Verbots-Politik. Klimawandel, Energiewende oder ökologischer Landbau sind für die AfD pure Ideologien einer lebensfeindlichen Gleichschaltungsfantasie. Dagegen behauptet die AfD in der Einleitung ihres Positionspapiers zur Umweltpolitik, sie stehe in der Tradition Alexander von Humboldts – ein geradezu absurder Geschichtsrevisionismus, bei dem sich Humboldt ob seines vom Ideal der Aufklärung geprägten Weltbildes und seiner auf großen Mengen an Messdaten beruhenden Forschung wohl im Grabe umdrehen würde.
Kern der rechten Denunziationslogik ist die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen Energiewende und Naturschutz, wobei Letzterer immer auch mit Heimatschutz gleichgesetzt wird. So behauptet der Frontmann des rechtsradikalen „Flügels“ in der AfD, Björn Höcke: „Typisch linker Machbarkeitswahn begegnet uns hierzulande vorrangig in der auf Ideologie und Hybris sowie zentralistischer Planungssucht fußenden sogenannten Energiewende, die letztlich ein gigantisches Natur- und Heimatzerstörungsprojekt ist.“
Für den rechten Scharfmacher gehört zu den „wirklichen Tragödien der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, dass es linken Ideologen gelungen ist, große Teile der deutschen Naturschutzbewegung […] unter Kontrolle gebracht zu haben“. Ziel der Nationalisten müsse es daher sein, „dass unsere AfD das Thema Naturschutz stärker als bisher an sich binden und die im konservativen Denken liegenden Lösungsansätze transportieren muss“. [2] Die AfD sei die einzige Partei, die „wirklich etwas gegen die große Lüge Energiewende“ unternehme. Auch für den Berliner AfD-Abgeordneten Götz Frömming, vormals bekennender Wähler der Grünen, macht die Verbindung von Grün und Blau „absolut Sinn“. Die Gleichung Naturschutz = Heimatschutz = Volksschutz stehe für den Kampf gegen die „Vermischung von Kulturen“, Massenzuwanderung und liberalen Lebensstil.
Heute hinterlassen braune „Ökologen“ mit ihren aggressiven Tatsachenverdrehungen, ihren dreisten Lügen und reaktionären Behauptungen Spuren der Verunsicherung und Einschüchterung sowohl in den Parlamenten als auch in der öffentlichen Debatte und den digitalen Netzwerken. Vor allem in Ostdeutschland gewinnt die AfD damit massiv an Boden – während die Grünen nicht annähernd an ihre Ergebnisse im Westen heranreichen.
Womit uns die AfD auf diese Weise konfrontiert, ist das Gespenst der Vergangenheit: Denn auch in der Zeit des Nationalsozialismus war die Naturfrage eng verflochten mit der Volksgemeinschaftsideologie und der Besinnung auf völkische Ursprünge. Dabei hat das braune Gift aus der Mottenkiste der Geschichte nichts mit ökologischer Verantwortung zu tun. Vielmehr liegt ihm eine völkische Blut-und-Boden-Ideologie zugrunde. Braune „Ökologen“ wollen dezidiert die angeblich deutschen Arten, den deutschen Boden und den deutschen Wald vor Einflüssen von außen schützen. Damit unterscheiden sie sich in ihren Zielen und Begrifflichkeiten fundamental von der heutigen Umweltbewegung. Daran zeigt sich: Die Umweltbewegung ist und war nicht per se eine linke Bewegung. Die Wurzeln der Naturschutzbewegung, die aus der deutschen Romantik stammen, liegen auch im Rechtsextremismus, vor allem im Heimatschutzgedanken. Der Naturschutzgedanke ist auch ein Teil rechtsextremer Ideologie, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Die Naturschutzbewegung und das Gespenst der Vergangenheit
Die Naturschutzbewegung entstand in Deutschland um 1860 als konservative Reaktion auf die Industrialisierung. Naturschützer waren in der Zweiten Industriellen Revolution zuallererst konservative Bürgerliche, die Teile der Natur vor dem Moloch der kapitalistischen Verwertungslogik schützen und quasi ins Museum stellen wollten – wie den Rheinfall von Schaffhausen oder das Siebengebirge. Der Naturschutz war oft rechts und meist demokratiefeindlich. Auch die verwandten Lebensreformer, die im NS-Machtapparat erbitterte Gegner, aber auch starke Befürworter wie Rudolf Hess hatten, waren im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Mehrheit völkisch orientiert. Bestimmende Ideologie im Naturschutz war bis weit in das 20. Jahrhundert die auf Johann Gottfried Herder und Wilhelm Heinrich Riehl zurückgehende Ideologie vom „Deutschen Wald“.
Bei den Sozialisten und Anarchisten, die vereinzelt in Reformsiedlungen zu finden waren, blieben dagegen Naturschützer wie Gustav Landauer, der 1919 an der Münchener Räterepublik beteiligt war, in der Minderheit. (Dabei vertraten auch Friedrich Engels und Karl Marx durchaus weitsichtige Positionen zur Natur, die in der politischen Rezeptionsgeschichte allerdings weitgehend folgenlos blieben.) Eine Ausnahme bildet der den Sozialdemokraten nahestehende Verband „Die Naturfreunde“. Der 1895 gegründete Verband war schon in der Weimarer Republik und im Kaiserreich die proletarische Gegenorganisation zum elitären und antidemokratischen Naturschutz des Bürgertums. Einer der Gründer der Naturfreunde, Karl Renner, wurde später Präsident der Republik Österreich. Auch Bundeskanzler Willy Brandt war überzeugtes Mitglied der Naturfreunde. Der Verband vertrat und vertritt bis heute eine soziale und ökologische Position, in deren Mittelpunkt der Mensch in seiner Beziehung zur sozialen und natürlichen Mitwelt gesehen wird.
Daran wird deutlich: Der Naturschutz war in seinen Anfängen keine rein bürgerliche Sache; auch aus den Reihen der Arbeiterbewegung wurden wichtige Impulse gesetzt, die allerdings lange Zeit ignoriert wurden – und 1933 ein jähes, organisatorisches Ende fanden. Denn mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft wurden die Naturfreunde mit ihren damals rund 50000 Mitgliedern verboten. Nicht zufällig wurde im Anschluss der Funktionär des Alpenvereins Paul Bauer als „Reichstreuhänder“ mit der Verwertung des erheblichen Arbeitervermögens von mehr als 230 Naturfreundehäusern (Hütten, Naturschutzstationen und Jugendherbergen) betraut. Nicht wenige der Naturfreunde, die zumeist standhafte Gegner von Kriegspolitik und Faschismus waren, gingen in den Widerstand, kamen ins Zuchthaus oder KZ und wurden ermordet. [3]
Die allermeisten deutschen Naturschutzverbände liefen jedoch ohne zu zögern zu den neuen Machthabern über – ein bis heute weithin verdrängtes Kapitel der NS-Herrschaft. Die Nationalsozialisten erkannten sofort das ideologische Potenzial, das im Naturschutz steckt und sich mit der Blut-und-Boden-Ideologie in Einklang bringen ließ. Die „deutsche Heimaterde“ wurde als Grundlage für die angeblich überlegenen Eigenschaften der „veredelten germanischen Rasse“ angesehen. Reichsforstmeister und Reichsminister Hermann Göring wurde zum Wegbereiter, indem er 1935 das Reichsnaturschutzgesetz durchpeitschte. Fortan war der Naturschutz Staatsangelegenheit, unterstellt der Reichsstelle für Naturschutz, an deren Spitze zunächst der glühende Antisemit Walther Schoenichen stand, und ab 1938 dann der ebenso fanatisierte Hans Klose.
Der Deutsche Alpenverein (DAV), heute mit rund 1,3 Millionen Mitgliedern der stärkste staatlich anerkannte Naturschutzverband, betrachtete die Förderung des Deutschtums als seine zentrale Aufgabe. Antisemitische Strömungen nahmen bereits nach dem Ersten Weltkrieg massiv zu. Ab 1920, 13 Jahre vor der Machtergreifung der Nazis und 15 Jahre vor den Nürnberger Rassegesetzen, führten Sektionen des DAV den sogenannten Arierparagraphen ein und verweigerten Juden die Mitgliedschaft. Und schon 1923 (anlässlich Hitlers Putschversuch in München) ließ der Alpenverein Hakenkreuzfahnen vor seinen Hütten hissen. Der DAV war damit der erste große Freizeitverband, der sich ganz klar antisemitisch und völkisch positionierte.
Doch auch weitere Verbände folgten schnell der NS-Ideologie: Lina Hähnle, die deutsche „Reichsvogelmutter“ und Gründerin des „Bundes für Vogelschutz“ – dem Vorläufer des heutigen NABU – bot mit einem „sieghaften Heil auf unseren Volkskanzler“ der NSDAP „die freudige Gefolgschaft“ an. Der zügig in „Reichsbund für Vogelschutz“ umbenannte Verein wurde für seine Unterwürfigkeit mit einer Monopolstellung belohnt. Andere Vogelschutzverbände wurden zwangseingegliedert.
Führende Vertreter im Bund für Naturschutz (BN) in Bayern wie Hans Hohenester, Hans Stadler, Max Dingler und vor allem Alwin Seifert, der als Hitlers Reichslandschaftsarchitekt zu einem wichtigen Funktionsträger des NS-Machtapparats aufstieg, waren Nazis der ersten Stunde, andere BN-Funktionäre wie Theodor Künkele oder Otto Kraus wechselten nach kurzer Zeit auch aus opportunistischen Gründen ins Lager der Hakenkreuzfahne. Die „neue Zeit“ wurde euphorisch begrüßt: „Keine Zeit war für unsere Arbeit so günstig wie die jetzige unter dem Hakenkreuzbanner der nationalen Regierung, in welcher der Mensch nach den langen Jahren der trübsten Aussichten doch wieder Mut gefasst hat und allmählich aus der Dumpfheit des Lebens und der Trägheit des Herzens emporgehoben werden soll.“ [4] Innerhalb weniger Monate kam es zur totalen Anpassung an den Nationalsozialismus und bis zuletzt wurden Durchhalteparolen ausgegeben. Die Zustimmung war nicht singulär, sie entsprach der Mehrheit in der Bevölkerung.
SS-Musterstadt Auschwitz: Naturschutz und die Blut-und-Boden-Ideologie
Für diese Verbindung von Naturschutz und Nationalsozialismus stand wie kein anderer Alwin Seifert, der spätere Landesvorsitzende des bayrischen Bunds für Naturschutz (von 1958 bis 1963). Als überzeugter Antisemit tat er sich schon früh mit rassistischen Äußerungen hervor und verknüpfte zugleich ökologische Argumentationsstränge mit der NS-Utopie der „deutschen Technik“. Sein Ziel war: „Deutschland statt zu einer Maschinenlandschaft zu einer Heimat zu machen, die jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau […] mit jedem Blutstropfen“ verteidige. Den Naturschutz betrachtete er dabei als Schutz der Volksgemeinschaft und sorgte in der Funktion des „Reichslandschaftsanwalts“ im Zuge der großflächigen Natur- und Landschaftszerstörung durch den Autobahn- und Festungsbau (Westwall etc.) für eine „arische Bepflanzung“.
Speziell am Autobahnbau lässt sich aufzeigen, wie Naturschutz und Blut-und-Boden-Ideologie Hand in Hand gingen. Der Ingenieur Fritz Todt wurde 1933 von Hitler zum Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen ernannt. Mit Hilfe von Seifert wollte er „nationalsozialistische Straßen“ und „nationalsozialistische Wehranlagen“ bauen, Rüstungsanlagen landschaftlich tarnen und das Umland des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau „grün“ gestalten. Seifert, Hitler dabei stets zu Diensten, entwickelte auch Konzepte für eine „Aufnordung“ der Landschaft im eroberten Osten, die zuvor durch Massenerschießungen und Vergasung „frei“ gemacht und „entjudet“ wurde. Das Ziel war eine völkische „Wehrlandschaft“, der Vernichtungskrieg hatte dafür den Boden bereitet.
Die Umwandlung der „Steppenlandschaft“ zur „deutschen Waldlandschaft“ war wiederum Aufgabe der Organisation Todt, die für den Tod von Millionen Zwangsarbeitern verantwortlich war. Seifert ließ dafür „deutsche Hecken“ pflanzen. Das sollte der „Umgestaltung für deutsche Menschen“ dienen, wie es in der Präambel des Reichsnaturschutzgesetzes von 1935 hieß. 1942 starb Todt beim Rückflug von Hitlers Wolfsschanze. Die Landschaftsanwälte wurden daraufhin dem Reichsrüstungsminister Albert Speer zugeordnet, bei ihm konnten sie ihren Einfluss sogar noch ausbauen.
Der Vegetationsexperte Reinhold Tüxen, in dessen Namen bis heute in Rinteln ein Umweltpreis vergeben wird, kartografierte für die SS-Musterstadt Auschwitz (Pilotprojekt für die Eindeutschung einer Stadt), um „deutsche Pflanzen“ als Grenze zwischen der Stadt und dem Vernichtungslager zu setzen. Auf Verlangen von Lagerkommandant Rudolf Höß wurde sogar noch ein Grüngürtel um die Krematorien I und II angelegt. Kurzum: Nirgendwo sonst war das Nebeneinander von Naturschutz und systematischer Auslöschung von Menschenleben so ungeheuerlich sichtbar wie in Auschwitz. Widerstand oder auch nur leiser Protest aus den Reihen der Naturschützer ist nicht bekannt. Im Gegenteil: An oberster Stelle des Naturschutzes wirkte bis 1938 der Biologe Walther Schoenichen. Er setzte sich für eine Waldschutzpolitik ein, „wie sie den blutmäßigen Instinkten unserer Rasse entspricht“. Der heimatliche Wald sei daher „von allen deutschwidrigen Einflüssen frei zu halten“. Folgerichtig fand sich am S-Bahnhof Berlin-Grunewald am Eingang zum wichtigsten Erholungsgebiet der Stadt ein Schild mit der Aufschrift „Juden sind in unseren deutschen Wäldern nicht erwünscht“. Von Gleis 17 des Bahnhofs sollten wenige Jahre später die Deportationszüge in die NS-Vernichtungslager abfahren, bis endlich die Alliierten dem großen Morden ein Ende machten, insbesondere mit der russischen Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945, kurz vor Ende des Krieges.
1945 oder das große Verdrängen
In der Naturschutzbewegung kam es jedoch auch nach dem Ende des Krieges zu keiner grundlegenden Zäsur. Vielmehr herrschten lange Zeit Verdrängen, Verharmlosen und ideologische Blindheit über den Zusammenhang von Naturschutz und Nationalsozialismus, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR, wo die Ignoranz ähnlich groß war. Führende Experten wie Werner Bauch und Otto Rindt waren Landschaftsanwälte und linientreue Nazis gewesen. In Westdeutschland waren die braunen Naturschutzideologen nach der Befreiung vom Nationalsozialismus weiter an führender Stelle tätig, neben anderen Alwin Seifert, Hans Klose, Walther Schoenichen und Hans Schwenkel. Nur für ganz wenige NS-Naturschützer bedeutete das Kriegsende auch das Ende ihrer Karriere. Denn im Laufe der Jahre waren enge Netzwerke entstanden, die auch nach 1945 bis in die 1970er Jahre erstaunlich stabil blieben – auch in ihrer nationalsozialistischen Verblendung.
So verlor Hans Klose, der bis 1954 die Zentralstelle für Naturschutz und Landschaftspflege, das spätere Bundesamt für Naturschutz (BfN), leitete, noch 1957 keine kritischen Worte zum nationalsozialistischen Naturschutz, sondern beschreibt ihn im Gegenteil als „die hohe Zeit des deutschen Naturschutzes“. Auch Walther Schoenichen, ab 1949 Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Braunschweig, zeigte kein Unrechtsbewusstsein. Dabei hatte er die stramm völkische Überzeugung vertreten, dass „der biologische Grundgedanke hinter der Rassen- und Bevölkerungspolitik des nationalsozialistischen Staates [steht], er ist die Grundlage der Lehre von der Rassenseele und der aus sich wachsenden Kultur- und Weltanschauung“.
Schon 1933 forderte er ein Volk, „das die Kraft findet, die an seinem Mark fressenden fremden Einflüsse grundsätzlich auszuschalten“. „Fremdstämmige, undeutschen Wesens“ müssten „ausgemerzt“ werden. Und Hans Schwenkel, Mitinitiator des völkisch grundierten Reichsnaturschutzgesetzes von 1935 und bis 1953 mit Sonderaufträgen amtlich tätig, schrieb: „Nach dem ersten Buch Mose kennt auch der Jude keinen Naturschutz, denn Gott gibt den Kindern Israels alle Pflanzen und Tiere, alles was kreucht und fleucht‘ zur Speise. Erst der Kulturmensch, und zwar fast ausschließlich der nordische Mensch, gewinnt ein ganz neues Verhältnis zur Natur.“
Heute zeigen sich gerade in der völkischen Siedlungsbewegung die anhaltenden Kontinuitäten der NS-Zeit. In Anlehnung an die eigentlich schon aus der Weimarer Zeit stammende Artamanen-Bewegung bezeichnen sich heute rechtsextreme Siedler in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg als „Neo-Artamanen“. [5] Prominente rechtsradikale Vorgänger als Mitglieder des völkischen Bundes der Artamanen waren jedoch vor allem die NS-Größen Himmler, Todt oder Höß – und auch Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP, trat regelmäßig dort auf. Und selbst im Rahmen der Entnazifizierung funktionierte das Netzwerk der braunen Naturschützer weiter, das sich gegenseitig bescheinigte, unbelastet gewesen zu sein.
Doch um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Inzwischen ist die Geisteshaltung in der offiziellen Umweltbewegung eine völlig andere. Die heutigen Umwelt- und Naturschutzverbände sind demokratische Organisationen und wichtige Träger der Zivilgesellschaft, die mit ihrer eigenen Vergangenheit hart ins Gericht gehen. So haben der Alpenverein und der Bund für Naturschutz in Bayern ihre Rolle in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in diversen Studien und Ausstellungen genau dokumentiert und bewertet – und damit das beste Anschauungsobjekt für die braunen Wurzeln der Umwelt-„Bewegung“ geliefert. [6]
Die problematische Rolle des Bundesamtes für Naturschutz
Dass allerdings auch heute teilweise noch immer kein hinreichendes Wissen um diese Zusammenhänge besteht, ließ sich vor drei Jahren in der (amtlichen) Zeitschrift des Naturschutzes, „Natur und Landschaft“ (NuL), nachlesen. Todt, Seifert, Schoenichen und Tüxen wurden in der Zeitschrift mit Bild gewürdigt, da sie nach Einschätzung eines Mitarbeiters des Bundesamtes für Naturschutz, einer nachgeordneten Behörde des Bundesumweltministeriums, im „Dritten Reich“ maßgeblich zur „Verwissenschaftlichung des Naturschutzes“ beigetragen hätten. [7] Die Leiterin des BfN, Prof. Dr. Beate Jessel, mochte sich anschließend weder von ihrem Mitarbeiter noch von dem Artikel distanzieren. Und BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth sprach von missverständlichen Formulierungen.
Schon in der Vergangenheit hatten verschiedene Autoren in der NuL auf die Bedeutung des Reichsnaturschutzgesetzes verwiesen – als angeblich besondere Leistung des NS-Staates. Zwar waren maßgebliche Teile des Gesetzes bereits in der Weimarer Republik erarbeitet worden, aber sie wurden anschließend um die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis ergänzt. Zudem wurde systematisch ausgeblendet, dass die andere Seite von Nationalismus und Antisemitismus, die den Naturschutz in dieser Zeit tief geprägt hat, Krieg, Militarisierung und Ausgrenzung, ja Vernichtung waren.
Es ist völlig unnachvollziehbar, warum die amtliche Zeitschrift des Naturschutzes führende Nazis als große Naturschützer würdigt, die aber tatsächlich Vertreter eines rassistischen Natur- und Heimatschutzes waren und maßgeblich dazu beigetragen haben, diesen zu einem Leitbild der nationalsozialistischen Gesellschaft zu machen. Weder in dem Abschnitt über die Zeit von 1933 bis 1945 noch in der Einleitung oder dem Fazit des Beitrages ist eine politische oder geschichtliche Einordnung der NS-Zeit zu finden, ganz so, als sei der Naturschutz – heute wie damals – eine wertneutrale Frage.
Auf Anfrage versicherte die Präsidentin des BfN, jeder Beitrag werde doppelt begutachtet, einmal im BMU und einmal extern. Die externe Begutachtung erfolgte durch die Stiftung Naturschutzgeschichte in Königswinter. Dort wies man die erste Fassung des Artikels zurück. Die zweite Fassung lief dann jedoch durch, offenbar aus einem schlichten Grund – weil sie überhaupt nicht gelesen wurde. Dabei hätte man den „Naturschutzeinsatz“ der Organisation Todt sehr viel genauer unter die Lupe nehmen können – nämlich in der Dokumentationsstelle „Topographie des Terrors” in Berlin, in der dortigen Ausstellung über dessen „Einsatzgruppen“, die zwischen 1939 und 1942 mehrere Millionen Menschen ermordeten.
Der Rekurs in die Geschichte des Naturschutzes ist also weiterhin angebracht – und das gilt offensichtlich auch für die Nachkriegszeit. Noch bis in die 1970er Jahre wurde die Vorläuferbehörde des BfN, die Zentralstelle für Naturschutz und Landschaftspflege, von einem früheren SS-Mitglied geführt. In der Jubiläumsnummer der Zeitschrift NuL wurde behauptet, der „Naturschutz sei nicht brauner als andere bürgerliche Bewegungen“ gewesen. Interpretationen eines systematischen Zusammenhangs von Naturschutz und Blut und Boden im Nationalsozialismus erschienen „eher zusammengesucht, undifferenziert, unreflektiert und oberflächlich als historisch belegbar“.
Als der damalige Umweltminister Jürgen Trittin die dunkle Seite der Geschichte des Hauses auf einer wissenschaftlichen Tagung aufarbeiten lassen wollte, sorgten BfN und NuL dafür, dass allzu kritische Stimmen nicht zu Wort kamen, wie die Professoren Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, die die Zeitschrift wegen ihrer apologetischen Haltung zum NS-Naturschutz wiederholt kritisiert hatten. [8]
Die Aufarbeitung der langen braunen Linien des Umwelt- und Naturschutzes ist jedoch keinesfalls von bloß historischer Bedeutung, sondern von eminenter Aktualität. In der sich radikal verschärfenden Klimakrise steht zu befürchten, dass der „Kampf um Lebensraum“ in einer neuen Dimension auf die Tagesordnung kommt. Der amerikanische Historiker Timothy Snyder geht sogar so weit zu prognostizieren, dass sich im Zuge der Klimakrise etwas dem Holocaust Vergleichbares ereignen könne, beim Kampf um neue Lebensräume. [9]
Eine Geschichte von brennender Aktualität
Fest steht: Längst stellen sich Militärs und Politiker wieder die Frage, wie Kriege führbar werden könnten – nicht zuletzt als Ressourcenkriege. Beim Kampf um das Öl ist das keineswegs neu, bei den kommenden globalen Verteilungskämpfen wird es jedoch auch um Wasser, Ackerland oder Küstengebiete gehen – und damit für große Teile der Weltbevölkerung schlichtweg um ihre Existenzgrundlagen.
In Europa beschäftigen sich heute vor allem die rechtsradikalen „Identitären“ mit der „ökologischen Frage“ als einer biologistischen Existenz- und Überlebensfrage. Sie wollen den „angestammten Lebensraum“ gegen Migranten verteidigen. Auch die Attentäter von Utøya oder Christchurch verwiesen in diesem Sinne auf den „Lebensraum“. Und wenn der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland heute von der Gefahr der angeblich bevorstehenden „Umvolkung“ redet, sind wir fast wieder bei den Artamanen.
Fest steht jedoch auch: Auf einer immer unwirtlicheren Welt kann es keine grünen Oasen des Wohlstands geben, ohne dass diese gegen zukünftige Klimaflüchtlinge möglichst maximal gesichert werden, wie heute wieder an den Grenzen nicht nur Europas zu besichtigen. Damit drohen wieder hoch autoritäre Lösungen zur Verteidigung des eigenen Lebensraums heraufzuziehen.
Ein taugliches Konzept für eine friedliche Zukunft hat daher nur der, der auf die ökologische Herausforderung auch eine soziale Antwort gibt, die auf einen gerechten Ausgleich zwischen den Verlierern und Gewinnern der Klimafrage abzielt. Worauf es heute ankommt, ist eine sozial-ökologische Transformation – also ein „green new deal“, der ähnlich dem „New Deal“ unter Roosevelt in den 1930er-Jahren eine sozial-ökologische Antwort auf die Krise sein muss. Dazu gehört es allerdings zwingend, den braunen Ideologen mit ihrer völkisch-rassistischen Ideologie in aller Entschiedenheit entgegenzutreten.
Michael Müller (Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands)
Hans-Gerd Marian (ehemals Bundesgeschäftsführer der NaturFreunde Deutschlands)
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Blätter für deutsche und internationale Politik 2'20.
Quellennachweis
[1] Vgl. die Dresdener Erklärung der umweltpolitischen Sprecher der AfD im Bundestag und den Landtagsfraktionen anlässlich der 2. Umweltkonferenz der AfD am 13./14.6.2019 in Dresden, afdbundestag.de.
[2] Björn Höcke, Echter Naturschutz geht nur mit der AfD, 29.9.2017, facebook.com.
[3] Besonders zu nennen unter den Naturfreunden ist der schwäbische Schreiner Georg Elser, der mit seinem Attentatsversuch auf Hitler am 8.11.1939 im Münchener Bürgerbräukeller „den Krieg verhindern wollte“. Doch tragischerweise explodierte die Bombe 13 Minuten zu spät, ansonsten wären Deutschland und der Welt Millionen von Toten erspart geblieben.
[4] Aus unseren Bundesgruppen, in: „Bund für Naturschutz-Nachrichten“ (BfNN), 16/1933, S. 174, zit. nach: Richard Hölzl, Naturschutz in Bayern zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Vom liberalen Aufbruch bis zur Eingliederung in das NS-Regime, 1913 bis 1945, in: „Bund Naturschutz Forschung“, 11/2013, S. 21-60, hier: S. 48, academia.edu.
[5] Dana Fuchs, Siedlungsprojekt in Mecklenburg-Vorpommern: Wohnen und Leben in Nazi-Tradition, belltower.news, 1.9.2010.
[6] Vgl. u.a. die detaillierte Aufarbeitung von Richard Hölzl, Naturschutz in Bayern zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Vom liberalen Aufbruch bis zur Eingliederung in das NS-Regime, 1913 bis 1945, a.a.O.
[7] Vgl. Reinhard Piechocki, Zur Verwissenschaftlichung des Naturschutzes in Deutschland (1900–1980), in: „Natur und Landschaft“, 9-10/2016, S. 423-428.
[8] Immerhin kam am Ende dennoch ein in vielen Teilen lesenswerter Tagungsband zustande, der eindeutige Aussagen zu den braunen Ökologen macht.
[9] Timothy Snyder, Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann, München 2015.