Rede von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands, zur G20 Protestwelle am 2.7.2017 in Hamburg
Wir sind hier nicht nur, um gegen die selbstgerechte Politik der G20 zu protestieren, die hier in Hamburg mit einem völlig unangemessenen Aufwand ein inhaltsleeres Spektakel inszeniert. Das Theater ist weit davon entfernt, die drängenden Probleme unserer Welt zu lösen. Es geht nicht um das Notwendige, aber seit Shakespeares Königsdramen wissen wir, was der Macht zu ihrer eigenen Selbsterhaltung so alles einfällt.
Die G20 sind tatsächlich ein Teil des Problems. Der Wirkungsraum der Wirtschaft ist längst sehr viel größer als der Wirkungsraum der Politik. Es war die Politik, die das mit herbeigeführt hat. Ihr Credo ist der Markt, statt die Demokratie zu stärken.
Wir klagen die G20 an, ein wirtschaftliches System zu erhalten, ja zu fördern, das im Kern eine gewaltige Externalisierungsmaschine ist. Sie beutet Mensch und Natur aus, verschärft soziale Ungleichheiten und spaltet die Welt. Die negativen Folgen schiebt die Marktgesellschaft auf andere ab, auf die sozial Schwächsten, auf die Dritte Welt, auf die natürliche Mitwelt. Nicht nur nach außen, auch nach innen. Auch in unserer Gesellschaft nimmt Ungerechtigkeit zu.
Doch in ihrer abgeschotteten Welt sind Donald Trump, Theresa May, Angela Merkel &Co. dabei, zu Göttern zu werden, die eine zweite Welt erschaffen. Eine Welt, die alles dem Markt unterordnet, obwohl die Menschheit auf einen Kipppunkt zurast, an dem die Entwicklung völlig außer Kontrolle geraten wird. Die Folgen kommen auch zu uns zurück – Flüchtlinge, Wetterextreme, ein gespaltenes Europa. Deshalb:
- Es darf keine Welt geben, in der nur wenige Reiche in streng geschützten Oasen des Überflusses leben, während unser Planet öde und unbewohnbar wird.
- Markt und Wachstum dürfen nicht goldene Götzen sein, vielmehr muss dem öffentlichen Wohl grundsätzlich die Priorität eingeräumt werden.
- Wir müssen den ökologischen Kolonialismus beenden. Die Tragfähigkeit der Erde reicht nur dann für alle aus, wenn nicht dem modularisierten Konsum, der Wachstumsideologie und dem Marktfetischismus gehuldigt wird, sondern Nachhaltigkeit, Demokratie und Gerechtigkeit zum Maßstab werden.
Von daher geht es uns um weit mehr als um die Kritik an der organisierten Verantwortungslosigkeit der G20. Ein radikales Umdenken ist notwendig. Wir müssen uns von einem wirtschaftlichen System befreien, das in den Niedergang treibt. Das ist die Grundbedingung für das Überleben der Menschheit.
Unsere Aufgabe ist es, eine ganzheitliche Vision des menschlichen Fortschritts zu entwickeln, die wir Armut und Ungleichheit, Erderwärmung und Naturzerstörung entgegenstellen. Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören zusammen.
Wir sind in einer Situation, für die es kein historisches Beispiel gibt. Die Menschheit ist einer Gewalt ausgesetzt, einer von den Regierungen der G20 abgesegneten Gewalt, die unsere Welt unbewohnbar machen kann. Dadurch ist sogar die ökologische Selbstvernichtung der Menschheit denkbar geworden.
„Die ungezügelten Marktkräfte erniedrigen menschliche Tätigkeiten, erschöpfen die Natur und machen Währungen krisenanfällig“, schrieb Karl Polanyi über die Katastrophen des letzten Jahrhunderts. Das ist auch heute die Warnung. Deshalb sagen wir "Nein!" zur Marktgesellschaft.
Neoliberale Politik und grenzenloser Freihandel sind eine hemmungslose Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft. Auch die EU-Staaten üben alltäglich eine Gewalt aus, die unseren Planeten unbewohnbar macht.
Doch die Erderwärmung ist auf tragisch ungerechte Weise zu Lasten der armen Schichten und Regionen verteilt. Auch hier zeigt sich die Externalisierungsgesellschaft, denn die Hauptverursacher sind nicht die Hauptbetroffenen. Aber die G20 zeigen nicht einmal die Bereitschaft, den ärmsten Weltregionen bei der Anpassung an die mittlerweile unausweichliche Erwärmung zu helfen.
Noch immer wird das weitaus meiste Kapital in die Finanzspekulation oder in protzige Verwaltungszentren und Konsumtempel gesteckt, aber nicht in das Gemeinwohl, in Maßnahmen gegen die Armut und die heraufziehenden großen Ernährungs- und Energiekrisen. Die Politik hat nicht die Kompetenz, Frieden zu stiften.
Was nun passiert, das liegt an uns. Unser Jahrhundert wird entweder ein Jahrhundert neuer Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe. Oder es wird ein Jahrhundert der Nachhaltigkeit, in dem es zu mehr Demokratie und zur Verbindung von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit kommt.
Es kommt auf uns an, mehr Demokratie und Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft zu verwirklichen. Ob wir die Kraft entwickeln, die Macht des Kapitals und das blinde Streben nach Profit zu beenden. Und wir müssen – so schnell wie möglich - aus dem fossilen Zeitalter aussteigen.
Wenn wir nicht entschlossen handeln, wäre dies ein moralisches Versagen, für das es in der Geschichte wahrscheinlich kein Beispiel gibt. Eine andere Politik ist nötig und mit uns wird eine andere Politik möglich.