Geschichte ist nicht neutral. Sie wird von allen politischen und gesellschaftlichen Bewegungen und Strömungen ausgelegt. Für die NaturFreunde Berlin ist es wichtig, in diesem „Ringen um die Geschichte“ einen linken Beitrag zur geschichtlichen Einordung von Ereignissen anzubieten.
Gerade die NaturFreunde haben in ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte viele wichtige Beiträge geleistet: mit ihrem Einsatz gegen die imperialen Kriege, den aktiven Kampf um die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und gegen die Zerstörung der Natur, mit ihren Bemühungen für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aber auch der Entwicklung eines solidarischen Sportverständnisses, der Diskussionen über soziales Wandern oder dem ständigen Ringen, Naturnutz und Naturschutz möglichst eng miteinander zu verbinden. Die Geschichte der NaturFreunde kann sich sehen lassen. Es kommt aber auch darauf an, sie der heutigen Generation näher zu bringen.
Ein "linker Blick" auf die Geschichte
Seit vielen Jahren wird von den NaturFreunden in Berlin eine intensive Erinnerungsarbeit gepflegt. Die NaturFreunde wollen dazu beitragen, dass geschichtliche Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten und die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung in die heutige Zeit gespiegelt wird. Durch ihre Arbeit versuchen die NaturFreunde eine demokratische und antifaschistische Geschichtsarbeit zu fördern und für einen "linken Blick" auf die Geschichte zu werben.
Die NaturFreunde Berlin haben als einen ihrer wichtigen Schwerpunkte die aktive Erinnerungsarbeit an rassistisch Verfolgte und Antifaschist*innen. Dadurch versuchen sie, die Geschichte der NaturFreunde zu bewahren und sie in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Dabei stehen Mitglieder der NaturFreunde genauso im Fokus wie Aktive aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.
In den letzten Monaten haben interessierte NaturFreunde auch versucht, die Arbeit der NaturFreunde Berlin vor dem Hintergrund der Studierenden-Revolte in den 1968er Jahren und der Teilung Berlins in Interviews mit NaturFreund*innen zu erkunden. Langfristiges Ziel ist, die Ergebnisse dieser Arbeit für eine intensivere Beschäftigung mit der Geschichte der NaturFreunde zu erhalten.
DenkMalTouren
Für die Erinnerungsarbeit haben die Berliner NaturFreunde verschiedene Formate entwickelt. So werden mit den DenkMalTouren antifaschistische, antirassistische, postkoloniale und geschichtliche Touren durch Berlin angeboten, die sich auf die Spuren von Ereignissen und Persönlichkeiten in Berlin begeben, Ereignisorte besuchen und die jeweiligen Ereignisse in den geschichtlichen und heutigen gesellschaftlichen Kontext einordnen. Die DenkMalTouren der NaturFreunde Berlin finden seit mehr als 14 Jahren 12–20 Mal im Jahr statt. In diesem Jahr stehen dabei die vor 100 Jahren begonnene Revolution von 1918/19 und die Revolution von 1848 im Mittelpunkt. Aber auch dem 200. Geburtstag von Karl Marx wird mit einer DenkMalTour gebührend gedacht.
Historische Kommission
Die Historische Kommission der NaturFreunde Berlin wurde im letzten Jahr wieder intensiviert. Seitdem werden Interviews mit Zeitzeug*innen geführt und mit einer Videokamera aufgezeichnet, damit sie und damit die Geschichte der NaturFreunde durch aktive Erinnerungsarbeit für spätere geschichtliche Arbeit erhalten bleiben. Die Interviews werden zusammen mit Historiker*innen und zwei aktiven NaturFreunden geführt. Inhalte sind Erfahrungen mit den NaturFreunden, Erlebnisse bei den NaturFreunden, vor allem aber auch Ereignisse mit und bei den NaturFreunden. Zentrales Anliegen dabei ist, die Geschichte der NaturFreunde in der Zeit des Faschismus aber vor allem auch die Wiedergründungsgeschichte der Berliner NaturFreunde nach 1945 für eine spätere geschichtliche Aufarbeitung festzuhalten. Mittelfristiges Ziel ist, die Interviews für eine wissenschaftliche Arbeit als Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit zur Verfügung zu stellen. Nach den jeweiligen Interviewterminen werden die Filme gemeinsam ausgewertet und weitere Fragenkomplexe und wichtige offene Fragestellungen für einen weiteren Interviewtermin mit den Befragten gesammelt. In der Historischen Kommission arbeiten insgesamt zwei Historiker und bis zu zehn aktive NaturFreund*innen mit.
Archiv der NaturFreunde Berlin
Die NaturFreunde Berlin unterhalten ein umfangreiches Archiv, das maßgeblich von dem NaturFreund und Historiker Oliver Kersten aufgebaut wurde. Das Archiv ist aufgrund des Verkaufs des Karl-Renner-Hauses zurzeit noch provisorisch eingelagert und soll in den nächsten zwei Jahren in der neuen Berliner Landesgeschäftsstelle seinen Platz findet. Nach der Wiedereröffnung des Archivs soll es für wissenschaftliche Arbeiten und für die Erarbeitung der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung auch Interessierten zur Verfügung stehen.
Gedenkarbeit der NaturFreunde Berlin
Die NaturFreunde Berlin führen jedes Jahr unterschiedliche Gedenkkundgebungen durch. Im Mittelpunkt ihrer aktiven Gedenkarbeit stehen dabei der Antifaschist und Hitler-Attentäter Georg Elser und der von den Faschisten verfolgte und ermordete Boxer Rukeli Trollmann.
Gedenken für Georg Elser
Die NaturFreunde Berlin versuchen, das Gedenken an Georg Elser wachzuhalten und über seinen mutigen Widerstand gegen den deutschen Faschismus zu informieren. Dafür haben sie eine Reihe von Veranstaltungsformen entwickelt.
Reihe „Kultur konkret“ zu Georg Elser
In der Reihe „Kultur konkret“ führen die NaturFreunde Filme vor und stellen sie im Anschluss zur Diskussion. In den letzten Jahren wurden dabei auch mehrere Filme und Dokumentationen über Georg Elser gezeigt und nach dem gemeinsamen Anschauen diskutiert. Kultur Konkret versucht dabei, durch gemeinsame Interpretationen den Anwesenden Geschichte und Filme näher zu bringen und sie in einen gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext einzuordnen.
Die Filmreihe, die sich mit aktuellen und dokumentarischen Filmen beschäftigt, wird von den Berliner NaturFreunden seit mehr als fünf Jahren in unregelmäßigen Abständen durchgeführt.
Gedenkkundgebung für Georg Elser
Unter dem Motto „Georg Elser – Ein sehender unter Blinden“ organisieren die Berliner NaturFreunde jährlich am Georg-Elser-Denkmal in der Berliner Wilhelmstraße eine Gedenkveranstaltung für Georg Elser.
Georg Elser blieb standhaft bis zum Schluss. Seine Verhörprotokolle zeigen, dass es ihm gelungen ist, keinen Menschen, mit dem er im Laufe seines Lebens in Berührung kam, zu diskreditieren oder als Gegner*innen der Nazis darzustellen. Seine Aussagen in den Folterkellern der Gestapo, in denen immer wieder die Aussage „daran kann ich mich nicht mehr erinnern“ vorkommt, zeugen von einem beeindruckenden Mut. Georg Elser wollte mit einem Attentat auf Adolf Hitler und die Nazi-Führung die Entwicklung Deutschlands verändern. Zu diesem Schritt hatte er sich bereits im Jahr 1938 entschlossen. Am 8. November 1939 verübte er ein Attentat im Münchener Bürgerbräukeller, mit dem er Adolf Hitler töten wollte. Dieser verließ die Veranstaltung der „Alten Kämpfer“ im Münchner Bürgerbräukeller früher als geplant, um wegen des starken Nebels den Nachtzug zurück nach Berlin zu nehmen. Die Bombe, die der Schreiner Georg Elser von der Schwäbischen Alb unter größter Anstrengung gebaut und hinter der Rednerbühne platziert hatte, explodierte zwar plangemäß, aber eben 13 Minuten zu spät. Dreizehn Minuten haben gefehlt. In seinen 1964 gefundenen Akten über die Verhöre bei der Gestapo hatte Georg Elser als wichtigste Begründung seiner Tat gesagt: „Ich habe den Krieg verhindern wollen.“
Es gibt keine direkten schriftlichen Beweise, dass Georg Elser bis 1932 auch bei den NaturFreunden in Konstanz Mitglied war. Die Aussage eines Weggefährten zeugt aber von seiner politischen Gesinnung und dem Hinweis, dass er bei den NaturFreunden mitgewandert ist. Elser war Mitglied im Rotfrontkämpferbund und der KPD verbunden. Nach seiner Verhaftung wurde er der Gestapo ausgeliefert. Er kam in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau, wo er am 9. April 1945 auf persönlichen Befehl Hitlers erschossen wurde.
Anlässlich des Tages der Ermordung von Georg Elser am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau treffen sich jedes Jahr Mitglieder der NaturFreunde Berlin, um an den Antifaschisten zu erinnern. An der Gedenkkundgebung nehmen jedes Jahr zwischen 10 und 20 NaturFreund*innen teil. In diesem Jahr erinnerten Bruno-Klaus Lampasiak und Uwe Hiksch in kurzen Reden an das Leben und das Werk von Georg Elser. Bruno-Klaus Lampasiak wies auf seine historischen Forschungen hin, bei denen er die Mitgliedschaft von Georg Elser bei den NaturFreunden untersucht hat.
Fotoausstellungen zu Georg Elser in der NaturFreunde-Galerie
In der Galerie der NaturFreunde Berlin wurde eine eindrucksvolle Ausstellung zum Leben und Wirken von Georg Elser gezeigt und an ihn erinnert. Es dauerte viele Jahrzehnte bis Georg Elser seinen Platz im Widerstand gegen den deutschen Faschismus zuerkannt bekam. Fortschrittliche Historiker*innen und Geschichtswerkstätten setzten sich dafür ein, dass die mutige Tat Elsers endlich entsprechend gewürdigt wurde. Mehrere Jahrzehnte stritten auch viele NaturFreund*innen für eine Würdigung Georg Elsers.
Zum Abschluss der Ausstellung wurde der Film „Elser – er hätte die Welt verändert“ vorgeführt. Zusammen mit dem Historiker Oliver Kersten und Uwe Hiksch fand nach dem Film eine spannende Diskussion statt.
Gedenken anlässlich des Todestages von Rukeli Trollmann
In Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) führen die NaturFreunde Berlin am 9. Juni eine Gedenkveranstaltung am Stolperstein für Rukeli Trollmann in der Fidicinstrasse 2 an der ehemaligen Bockbrauerei durch. 1933 wurde Rukeli Trollmann in der Bockbrauerei in Berlin-Kreuzberg nach heftigen Protesten des Publikums über die Wertung auf Unentschieden durch das von NS-Sportfunktionären beeinflusste Kampfgericht zum deutschen Meister im Halbschwergewicht erklärt. Die Aberkennung folgte Tage später mit der Begründung „zigeunerhaften und undeutschen“ Boxens. Trollmann verlor seine Profilizenz und schlug sich fortan mit Gelegenheitsjobs und als Rummel-Boxer durch.
Mit der Nummer 668 wurde er im Register des Erbgesundheitsgerichtes geführt. Seine Einlassungen vor Gericht wurden gegen ihn gewendet und zur Verfestigung der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ verwandt. Außerdem wurde die Befürchtung formuliert, dass die „ziemlich erheblichen Intelligenzmängel vererbt werden könnten.“
Am 23. Dezember 1935 wurde der Berufsboxer Heinrich Trollmann – so steht es in den Unterlagen des Berliner Erbgesundheitsgerichtes vom Juli des gleichen Jahres – auf Antrag des Direktors des Bewahrungs- und Arbeitshauses Rummelsburg (Berlin) als einer von 195 anderen Insassen der Anstalt zwangssterilisiert. Die Gründe für die Einweisung des Sinto Rukeli Trollmann in das Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg 1935 sind nicht bekannt.
Rukeli (Johann Wilhelm) Trollmann, geboren am 27.12.1907 in Wittenberge, starb 1944 im Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme.
Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung findet jedes Jahr eine Informationsveranstaltung mit musikalischen und geschichtlichen Beiträgen statt. In diesem Jahr waren zu der gemeinsamen Veranstaltung mehr als 50 Teilnehmer*innen gekommen.
Uwe Hiksch
NaturFreunde Berlin