Gesucht: eine Steuer auf die Pestizide

Immer mehr Menschen haben die Giftduschen auf Äckern satt – und in ihrem Essen

Sie können unser Nervensystem schädigen, Krebs hervorrufen und stehen im Verdacht unsere Immunabwehr negativ zu beeinflussen: Herbizide, Fungizide und Insektizide. Unter diesen chemisch- synthetischen Pflanzenschutzmitteln leiden auch Flora und Fauna. Diese sogenannten Pestizide sind der entscheidende Grund, warum der „gute Zustand“ von Gewässern in Deutschland nicht bis zum Dezember 2015 erreicht wird, obwohl genau das die EG-Wasserrahmenrichtlinie gesetzlich vorgeschrieben hat. Behördlichen Erhebungen zufolge sind unsere Gewässer bundesweit mit Pestiziden belastet.

9 von 10 Betrieben spritzen
Gemäß dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wurden im Jahr 2014 in Deutschland 106.155 Tonnen Pflanzenschutzmittel mit 34.500 Tonnen Wirkstoffen verkauft – 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Da neuere Mittel zunehmend wirksamer werden, sind die tatsächlichen Auswirkungen auf die Umwelt aber wesentlich stärker gestiegen. Etwa 90 Prozent der Betriebe bringen diese Spritzmittel auf fast der Hälfte des Bundesgebietes aus. Die Uni Koblenz-Landau hatte Anfang 2015 Daten aus 73 Ländern ausgewertet und festgestellt: Pflanzenschutzmittel verschmutzen die Gewässer weltweit viel zu stark. Und: Gesetzliche Grenzwerte werden oft nicht eingehalten.
Für das Breitbandherbizid Glyphosat sieht dies auch die Internationale Krebsforschungsagentur (IACR) so. Erst im März hatte sie das auf unseren Äckern häufig verwendete Glyphosat neu bewertet, seine auf zehn Jahre begrenzte Zulassung lief aus. Die IACR, eine Untergliederung der Weltgesundheitsorganisation, kam dabei zu dem Schluss, Glyphosat sei möglicherweise krebserregend. Schon Jahre zuvor hatte es alarmierende Hinweise gegeben, Glyphosat sei wesentlich gefährlicher als angenommen. Anstatt nun nach dem Vorsorgeprinzip zumindest ein vorübergehendes Moratorium für die Glyphosat-Anwendung auszusprechen, legte das zuständige Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) eine fragwürdige eigene Bewertung vor, in der bedenkliche Erkenntnisse zu Glyphosat unter den Tisch fielen. Das BfR verlängerte die Zulassung bis zur abschließenden Neubewertung im Frühjahr 2016.

Bereits im Jahr 2013 war bekannt geworden, dass 70 Prozent der Urinproben von deutschen Städtern Glyphosat enthielten. Nicht zuletzt durch die skandalöse Vorgehensweise des BfR wurde die öffentliche Diskussion zum Einsatz von Agrarchemikalien in der Landwirtschaft wieder neu entfacht. Im August 2015 wies der Öko-Anbauverband Bioland zudem in einer Studie nach, dass Pestizidwirkstoffe nicht auf dem gespritzten Acker verbleiben, sondern vom Ausbringungsort über weite Strecken verfrachtet werden können. So erklärt sich, warum Pestizide gelegentlich sogar in Bio-Lebensmitteln gefunden werden.
Der Druck für eine restriktivere Pestizidpolitik wächst. So schlägt der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck Abgaben auf Pestizide vor. Die Idee, die regelmäßige Giftdusche auf dem Acker zu verteuern, um deren steigende Anwendung zu bremsen, ist nicht neu. Bereits Anfang der 2000er Jahre hatte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) diesen Schritt geprüft und für notwendig befunden. Auch die EU-Kommission hatte die Mitgliedstaaten bereits vor über zehn Jahren aufgerufen, die Möglichkeiten fiskalischer Instrumente für mehr Natur- und Umweltschutz in der Landwirtschaft zu untersuchen. Umgesetzt wurde fast nichts. Noch nicht, denn die Gesellschaft hat die agrarindustrielle Produktion zunehmend satt und hinterfragt die über sechs Milliarden Euro an Agrarsubventionen, die Jahr für Jahr der deutschen Landwirtschaft zufließen.

50.000 Menschen protestieren
Landwirtschaftspolitik ist kein Hinterzimmerthema mehr, dies zeigen auch die inzwischen jährlichen Demonstrationen für eine andere Agrarpolitik in Berlin mit bis zu  50.000 Menschen. Habecks Forderung einer Pestizidabgabe ist die logische Konsequenz, denn das mit den Anwendern vereinbarte „Freiwilligkeitsprinzip“ zur Pestizidreduktion hat kläglich versagt: Die Veränderung der bäuerlichen Landwirtschaft hin zu einer industriellen Agrarproduktion, die mit hohem Einsatz von Mineraldünger und Pestiziden kurzfristig ein Maximum aus den Böden herausholt, geht bisher ungehemmt weiter