Wer Atommüll produziert hat, ist auch dafür verantwortlich, findet Michael Müller, der als Co-Vorsitzender die Endlagersuchkommission leitet
NATURFREUNDiN Heinz Seiffert ist Vorstand des Verbandes Oberschwäbische Elektrizitätswerke – und damit Miteigentümer des Atomkonzerns EnBW. Seiffert forderte jetzt, Atommüll im Ausland zu lagern. Ein guter
Vorschlag?
Michael Müller Ein unsinniger Vorschlag! In der Bundesrepublik gibt es seit 1956 den politischen Konsens über eine „nationale Depotpflicht“. Wer den Müll produziert hat, soll auch für seine Entsorgung verantwortlich sein.
NFiN Immerhin könnte man 60 Jahre alte Überzeugungen überdenken!
MM Natürlich! Aber schauen Sie sich doch um, wo soll er denn hin, der hoch radioaktive Müll? Es gibt weltweit nirgendwo ein Endlager.
NFiN Nun sind Sie einer der beiden Vorsitzenden der deutschen Kommission für die Suche eines atomaren Endlagers. Wo steht der Prozess?
MM Wir haben die erste Phase unserer Arbeit abgeschlossen: Ziel war, einen gemeinsamen Informationsstand zu erarbeiten. Wir haben die Unterlagen des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte studiert, Experten zu internationalen Projekten gehört, Grundfragen wie Verschluss versus Rückholbarkeit diskutiert: Welchen Vorteil hat es, den Atommüll so zu lagern, dass er irgendwann wieder an die Oberfläche gebracht werden kann, etwa um ihn dann mit neuen Techniken anders zu behandeln, als uns das heute möglich ist?
In der zweiten Phase geht es jetzt um die konkreten Lagerstätten: Welche eignet sich am besten und warum? Wir sind damit jetzt in die heiße Phase unserer Arbeit eingetreten.
NFiN Die Atomwirtschaft würde gern am Salzstock Gorleben festhalten, weil dort bereits 1,5 Milliarden Euro investiert wurden. Ist Gorleben noch im Rennen?
MM Ich will es so formulieren: Bei der jahrzehntealten Protestgeschichte kann ich mir das nicht vorstellen. Wir müssen uns in der Kommission ja auch mit der Frage befassen: Wie konnte es überhaupt zu dem Jahrhundertirrtum „Atomkraft“ kommen? Und natürlich folgt daraus zwangsläufig eine öffentliche Entschuldigung derer, die für das Festhalten an diesem Irrtum verantwortlich waren.
NFiN Sie betonen, dass es in Ihrer Arbeit um mehr geht, als nur um einen Standortvorschlag für ein deutsches Atom-Endlager. Worum geht es denn noch?
MM Es geht um langfristige Verantwortung. Wir müssen klären, welche institutionellen, rechtlichen, kulturellen Voraussetzungen notwendig sind. Schließlich reicht das Problem wegen seiner Strahlungsphysik mindestens bis zum Jahr Einemillionzweitausendzweiundzwanzig. Es muss also um mehr als nur eine Lösung für übermorgen nachgedacht werden.
NFiN Zu Beginn der Kommissionsarbeit hat es reichlich geknirscht unter den Beteiligten. Wie läuft es derzeit?
MM Natürlich werden etliche Beteiligte bei ihrer Arbeit immer wieder mit der extrem polarisierten Vergangenheit konfrontiert. Man spürt die Geschichte. Aber nach den Anfangsschwierigkeiten erwarte ich Spannungen erst wieder, wenn wir konkrete Standortvorschläge machen.
NFiN Wann wird das sein?
MM Deutlich vor Ende der Legislatur. Wir müssen erreichen, dass der Vorschlag noch von jenen Politikern diskutiert wird, die die Endlagersuchkommission ins Leben gerufen haben.
Das Interview mit dem Vorsitzenden der NaturFreunde Deutschlands, Michael Müller, führte Nick Reimer.
Es ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2015.