Wie die EU versucht, den Vormarsch der invasiven Arten aufzuhalten
Was haben die Pazifische Auster, der Goldrohrbambus oder die Schwarzkopfruderente gemeinsam? Eigentlich sollte es sie in Europa nicht geben. Denn eigentlich sind sie im Pazifik, Asien oder in Nordamerika zu Hause. Neuerdings aber eben auch in Europa: Pazifische Muscheln sind über die Schifffahrt eingeschleppt worden und setzen den heimischen Miesmuschel-Populationen sehr stark zu. Die Schwarzkopfruderente war im Jahr 1973 in Großbritannien aus einem Zoo ausgebüxt und hatte sich dann explosionsartig verbreitet. Den Bambus hatte ein Gartenbauer aus Asien mitgebracht, weil er sich etwas Besonderes zu Hause leisten wollte.
„Invasive Arten“ werden solche „Außerirdischen“ genannt. 22 Säugetiere, 164 verschiedene Vogelarten, 35 Spinnentiere – insgesamt 1.150 wildfremde Tiere und 328 fest eingebürgerte Pflanzenarten zählen Biologen schon in Deutschland. Manche sind ganz unproblematisch, etliche aber wurden zur Plage: Die Miniermotte hat mittlerweile alle Kastanien in Deutschland befallen, gebietsfremde Insekten stehen im Verdacht, neue Krankheiten einzuschleppen. Die Schäden, die invasive Arten allein in der Forst-, Land- und Fischereiwirtschaft verursachen, belaufen sich in Deutschland jährlich auf 170 Millionen Euro.
Nicht alle Aliens sind brandgefährlich
Dagegen will die Europäische Union nun vorgehen. Bis zum Jahresende sollen die Mitgliedsstaaten eine neue Verordnung umsetzen, die eine Reihe von Maßnahmen gegen die Verbreitung gebietsfremder Arten vorsieht. In einem ersten Schritt geht es um eine umfassende Bestandsaufnahme in den Mitgliedsstaaten der EU: Welche invasiven Arten gibt es eigentlich im eigenen Land? Wie sind sie dorthin gekommen? Welche Bedrohung geht von ihnen aus? Was sind die schlimmsten Auswirkungen, und was plant das jeweilige Mitgliedsland gegen die „Aliens“?
Die Fachleute nennen die Eindringlinge tatsächlich so: „Aliens“. Ambrosia zum Beispiel wurde versehentlich von Nordamerika nach Europa eingeschleppt, ihre Pollen sind stark allergen, viele Menschen klagen nach Hautkontakt über Beschwerden. Aber nicht alle Aliens sind so gefährlich. Die Robinie beispielsweise, ein Baum aus Nordamerika, wurde im 17. Jahrhundert nach Deutschland und Frankreich eingeführt, um in den Gärten der Herrscherhäuser als Frühsommertrachtpflanze angebaut zu werden. Der Unterschied zu heimischen Bäumen: Die Robinie ist in der Lage, Stickstoff in Holz und Rinde einzubauen, was den Baum sehr giftig macht: 150 Gramm Robinienrinde sollen bereits ausreichen, um ein Pferd zu töten. Unter anderem wegen dieses Giftes reduziert ein Robinienhain sehr schnell die Artenvielfalt eines Standortes – und zwar deutlich.
„Bedrohlich ist eine gebietsfremde Art immer dann, wenn sie einer heimischen Spezies den Lebensraum stiehlt, Krankheitserreger auf sie überträgt oder sie schlicht auffrisst“, erläutert Uwe Schippmann vom Bundesamt für Naturschutz (BfN). Die Chinesische Wollhandkrabbe wurde Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Schifffahrt eingeschleppt, jetzt frisst sie sich durch Deiche und richtet so enorme wirtschaftliche Schäden an. Zur Gefahr wurden auch Nutrias, Marderhunde und Minke, die in der DDR wegen ihrer Felle gehalten worden. Oft haben nach der Wende die Besitzer der wertlos gewordenen Tiere einfach die Gatter geöffnet, jetzt plündern die hierzulande feindlosen Nager die Gelege bodenbrütender Vögel und bedrohen die letzten Populationen der Europäischen Sumpfschildkröten. Zum Beispiel in Brandenburg, wo es noch wenige Exemplare gibt, fressen Mink und Nutrias die Eier der geschützten Art.
Aber man wird sie nicht wieder los
„Wenn eine invasive Art erst einmal da ist, gibt es kaum ein Mittel, sie wieder loszuwerden“, klagt Simon Walmsey, der beim WWF für den Gewässerschutz zuständig ist. In ihrer neuen Heimat hätten die Eindringlinge oft keine natürlichen Feinde und vermehrten sich ungestört.
Dennoch sah sich die EU-Kommission gezwungen, eine Gesetzgebung gegen die „Aliens“ auf den Weg zu bringen, denn „ihre Zahl steigt rasch an“, wie es in der Begründung zur neuen Verordnung heißt. Neben dem Bestandskatalog formuliert sie drei Handlungsfelder. Erstens die Prävention: „Die Mitgliedsstaaten führen Kontrollen durch, um die absichtliche Einführung bedenklicher Arten zu verhindern.“ Viele Arten werden jedoch unbeabsichtigt in die EU eingeschleppt – als Verunreinigung von Waren oder eingeschlossen in Containern. „Die Mitgliedsstaaten müssen Maßnahmen ergreifen, um diese Pfade zu erkennen und Abhilfemaßnahmen
zu treffen.“
Zweitens schreibt die EU-Verordnung eine Früherkennung und rasche Reaktion vor: „Stellen Mitgliedsstaaten fest, dass sich eine Art von EU-weiter Bedeutung etabliert, so treffen sie umgehend Maßnahmen zu deren Tilgung.“ Und drittens geht es um die Kontrolle: „Haben sich Arten von EU-weiter Bedeutung bereits stark ausgebreitet, müssen die Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen, um die von ihnen verursachten Schäden auf ein Mindestmaß zu begrenzen.“
Dass es Möglichkeiten gibt, sich trotz globalisierter Welt gegen Aliens zu wehren, zeigt zum Beispiel das sogenannte Ballastwasser-Abkommen, das im September 2014 beschlossen wurde. Tierarten, die im Ballastwasser großer Handelsschiffe als blinde Passagiere um die halbe Welt reisen, können in ihrer neuen Heimat verheerende Schäden anrichten. Mit dem Abkommen muss nun das Ballastwasser an Bord eines jeden Schiffes durch entsprechende Behandlungssysteme vor der Abgabe in die Meeresumwelt „alienfrei“ gemacht werden. Das Problem: In Kraft tritt das Abkommen erst zwölf Monate nach dem Tag, an dem wenigstens 30 Staaten unterschrieben haben.
Nick Reimer
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 4-2014