NaturFreunde-Antrag beim SPD-Bundesparteitag 2015 Für eine neue Weltwirtschaftsordnung | Der Welthandel als Fluchtursache
Vom 10. bis 12. Dezember tagt der Bundesparteitag der SPD in Berlin und wird dabei auch über die geplanten Freihandelsabkommen debattieren. Die NaturFreunde Deutschlands sind Teil des gesellschaftlichen Protestes gegen TTIP & Co. und fordern die Delegierten des SPD-Parteitags auf, Widerstand gegen Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP, CETA, TiSA und die EU-Afrika "Partnerschaftsabkommen" (EPAs) zu leisten.
Lesen Sie hier den NaturFreunde-Antrag an den SPD-Bundesparteitag:
Für eine neue Weltwirtschaftsordnung |Der Welthandel als Fluchtursache
Die SPD hat den Prozess der Meinungsbildung zu den Vertragsverhandlungen der EU mit den USA (TTIP), Kanada (CETA) und anderen Ländern (TiSA über Dienstleistungen) über Handels- und Investitionsabkommen noch nicht endgültig abgeschlossen. In den Gesellschaften Deutschlands und vieler anderer europäischer Länder wächst der Widerstand. Der SPD-Konvent hat im September 2014 wichtige Kriterien („Rote Linien“) für eine eventuelle Zustimmung festgelegt, die bis heute offensichtlich - nach dem Stand der Verhandlungen bei TTIP, bzw. beim vorliegenden CETA-Vertrag – nicht erfüllt sind. Der Bundesparteitag im Dezember wird sich erneut mit dem Thema der internationalen Handelsbeziehungen befassen.
Wir empfehlen deshalb, auf weitere Verhandlungen bei TTIP zu verzichten, CETA abzulehnen, den TiSA-Prozess zu stoppen und stattdessen ein Konzept für eine neue sozial-ökologische Wirtschaftsordnung zu erarbeiten, die sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Gerechtigkeit orientiert und die Sustainable Development Goals (SDG = Post-2015-Agenda) aufnimmt, die im September von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen worden sind.
Für die SPD müssen dabei die Grundsätze gelten, die 2007 auf dem Hamburger Parteitag im Grundsatzprogramm beschlossen worden sind. Dort heißt es unter anderem:
Primat der Politik und Prinzip der Nachhaltigkeit
Politik muss dafür sorgen, dass nicht zur bloßen Ware wird, was nicht zur Ware werden darf: Recht, Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur, natürliche Umwelt. Die Demokratie wird sich in Zukunft darin bewähren müssen, dass sie den Zugang zu diesen öffentlichen Gütern gewährleistet, die politische Verantwortung für die Daseinsvorsorge behauptet, die eine gerechte Verteilung von Lebenschancen erst ermöglicht. Das ist in einer Welt knapper werdender Ressourcen mehr denn je erforderlich und darf nicht dem Markt überlassen werden.
Angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, angesichts von Globalisierung und ökologischer Krise betrachten wir Nachhaltigkeit als das einzig verantwortbare Grundprinzip politischen und wirtschaftlichen Handelns. Das Prinzip Nachhaltigkeit bedeutet: von der Zukunft herdenken; dem Primat der Kurzfristigkeit widerstehen und ebenso der Dominanz des Ökonomischen, der rein betriebswirtschaftlichen Logik.
Der Welthandel bringt vielen Menschen neue Arbeit und Wohlstand. Zugleich aber prägt den globalen Kapitalismus ein Mangel an Demokratie und Gerechtigkeit. So steht er dem Ziel einer freien und solidarischen Welt entgegen. Er verschärft alte Ungerechtigkeiten und schafft neue. Deshalb kämpfen wir für eine Politik, die im eigenen Land, in Europa und in der Welt eine soziale Antwort auf den globalen Kapitalismus formuliert.
Mit der Globalisierung verschmilzt die Welt immer mehr zu einem einzigen Markt. Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich in global agierenden Unternehmen, Banken und Fonds. Transnationale Unternehmen planen ihre Gewinnstrategien über alle Grenzen hinweg, sie unterlaufen demokratisch legitimierte Entscheidungen.
Was nur die Menschen vor Ort, in der Region, in einem Land betrifft, gehört in ihre politische Zuständigkeit, damit bürgernah entschieden werden kann.Dieses Prinzip darf durch europäische Regeln nicht ausgehebelt werden.
Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge wollen wir nicht den Renditeerwägungen globaler Kapitalmärkte aussetzen.
Wir brauchen mehr Gerechtigkeit im Welthandel. Die Entwicklungsländer wollen keine Almosen - sie wollen gerechte Chancen auf den Märkten. Dazu müssen die Industrieländer im Rahmen der Welthandelsorganisation ihre Märkte öffnen und die Subventionierung ihrer Agrarexporte Schritt für Schritt reduzieren und schließlich beenden.
Die Wirklichkeit ist, dass die Länder auf der Nordhalbkugel, die EU und gerade auch Deutschland die Entwicklungsländer – vor allem in Afrika – nach wie vor massiv ausbeuten und dabei auch Menschenrechte verletzen. Einige Beispiele dafür:
- In kaum einem Land der Welt sitzen so viele Unternehmen, denen eine Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen angelastet wird, wie in Deutschland. Das ergeben aktuelle Erhebungen der Universität Maastricht. Es ist eine lange Liste: Darunter die Verseuchung von Wasser in Peru zur Gewinnung von Kupfer für deutsche Autos, Landvertreibungen in Uganda für eine Kaffeeplantage, die Flutung von Dörfern durch einen Staudamm im Sudan sowie die Ausbeutung von Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie. In all diesen Fällen waren deutsche Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt, so der Vorwurf mehrerer Nichtregierungsorganisationen.
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Eine „New Alliance for Food Security and Nutrition“ wurde 2012 gegründet, um den Hunger in der Dritten Welt zu bekämpfen. Die Dringlichkeit der Lage forderte eine umfassendere und wirkungsvollere Strategie gegen den Hunger als bisher und vor allem wesentlich höhere Investitionen in die Landwirtschaft. Die führenden Industriestaaten der Welt schlossen sich mit den führenden multinationalen Konzernen und einer ausgewählten Gruppe von zehn afrikanischen Staaten zu einer bis dato nicht gekannten „Partnerschaft“ zusammen.
Zu den Teilhabern der Allianz gehören die großen Player der Weltagrar- und Chemieindustrie sowie der Lebensmittelwirtschaft unter ihnen Cargill, Dupont, Danone, Monsanto, Nestle, Swiss Re, Syngenta, Unilever und Yara. Ihr Ziel: Die afrikanische Landwirtschaft soll mit Hilfe der Agroindustrie auf Massenproduktion umgestellt werden. Dabei steht die kleinbäuerliche Landwirtschaft auf dem Spiel. Die Existenz von 530 Millionen Afrikanern, der Hälfte der afrikanischen Bevölkerung, basiert nach Berechnungen von Oxfam bis heute auf landwirtschaftlichen Einkünften. Landwirtschaft trägt zur Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt der Sub-Sahara bei. Damit spielt die kleinbäuerliche Landwirtschaft die entscheidende Rolle in Afrika. Sie rückt jetzt in den Fokus der New Alliance. Es geht um einen enormen Markt, der in Wert gesetzt werden soll. Und bis 2030 auf einen Umsatz von einer Billion Dollar wachsen soll. -
Ein Freihandelsabkommen der EU mit ostafrikanischen Ländern (EPA) – angeschlossen sind Kenia, Ruanda, Burundi, Tansania und Uganda – verlangt die Liberalisierung von 82,6 Prozent des Marktes. Über die nächsten 15 Jahre sollen alle Importzölle abgeschafft werden.
Kenia, das sich dagegen wehrte, wurde mit der Verhängung von Einfuhrzöllen erpresst, für Schnittblumen, Röstkaffee, Dosenananas oder verpackten Tee. Kenia lenkte schließlich ein und seine einheimische Wirtschaft verliert dabei wahrscheinlich über 100 Millionen Euro jährlich. - Agrarprodukte aus der EU dominieren die afrikanischen Märkte. Gegen industriell produziertes und subventioniertes Milchpulver aus Deutschland, Hühnerfleisch aus den Niederlanden oder Tomatenmark aus Italien können lokale Produzenten preislich nicht bestehen. Die Folge ist, dass sie vom Markt verschwinden. 1990 stammten noch 80 Prozent des in Ghana verkauften Geflügelfleisches aus heimischer Produktion. Heute sind es nur noch zehn Prozent. In den westafrikanischen Küstenstaaten betreibt die EU eine äußerst aggressive Fischereipolitik. Afrikanische Staaten, wie der Senegal, werden über Handelsabkommen dazu genötigt, Fischerei-Kontingente an EU-Unternehmen abzutreten. Europäische Fabrikschiffe fischen dann den Ostatlantik leer und die senegalesischen Fischer kommen mit leeren Netzen zurück. NGOs schätzen, dass rund ein Fünftel der afrikanischen Flüchtlinge „Fischerei-Migranten“ sind.
Über Flüchtlinge ins reiche Europa brauchen wir deshalb uns nicht zu wundern.
Wir brauchen auch deshalb eine neue ökologische Weltwirtschaftsordnung. Die europäische Handels- und Investitionspolitik muss
- anerkennen, dass internationale Übereinkommen und Verträge zu Menschen- und Frauenrechten, Arbeit, Umwelt und Klima Vorrang vor Handels- und Investitionssystemen haben;
- Ländern, Regionen und Gemeinden erlauben, Herstellung, Verteilung und Konsum von Waren und Dienstleistungen selbstständig zu regulieren, statt sich lediglich auf die „unsichtbare Hand des Marktes“ zu verlassen. Systeme zur Angebotsregulierung, die diesen Zielen dienen, sollten durch Handels- und Investitionsverträge nicht in Frage gestellt werden;
- die Regulierung von Einfuhren, Ausfuhren und Investitionen zur Verwirklichung sozialer, kultureller und politischer Menschenrechte erlauben und eigene Strategien für eine nachhaltige Entwicklung verfolgen. Beispielsweise dürfen Exportbeschränkungen, die eine demokratische Kontrolle von Bodenschätzen erlauben und einen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten, durch Handels- und Investitionsverträge nicht verboten werden;
- zu einer am Menschen orientierten regionalen Integration beitragen, durch die sich Gemeinschaften gegenseitig unterstützen und für gemeinschaftliche Systeme zum gerechten Ressourcenmanagement einsetzen können, die die Umwelt achten und schützen zum Beispiel durch den Aufbau regionaler Nahrungsmittelreserven oder gemeinsamer Strategien zur nachhaltigen Nutzung und Erhaltung von Wasser und Land. Regionen müssen die Möglichkeit haben, kleineren Wettbewerbern einen besseren Marktzugang zu gewähren, um lokalintegrierte Märkte zu unterstützen;
- möglichst direkte Handelsbeziehungen zwischen Herstellern und Konsumenten unterstützen. Europa muss den Grundsatz der Ernährungssouveränität achten und Ländern und Gemeinschaften erlauben, die lokale und regionale Ernährungswirtschaft gegenüber dem weltweiten Agrarhandel zu bevorzugen;
- garantieren, dass europäische Regierungen und Parlamente europäische Unternehmen für die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Geschäftstätigkeit sowie der ihrer weltweiten Niederlassungen zur Verantwortung ziehen;
- verbindliche soziale und ökologische Regulierungen durchsetzen und volle Transparenz in globalen Wertschöpfungsketten schaffen. Ursprung, Zusammensetzung und Herstellungsbedingungen von Waren und Dienstleistungen müssen für den Einzelnen nachvollziehbar sein. Handelsregeln sollten Produkte und Dienstleistungen bevorzugen, die nach international anerkannten sozialen und umweltvertraglichen Normen hergestellt sind, zum Beispiel durch Förderung fairer Beschaffungsverfahren seitens der öffentlichen Verwaltung;
- eine gerechte Einkommensverteilung in globalen Wertschöpfungsketten sicherstellen, um stabile und adäquate Einkommen für Hersteller und Arbeitnehmer/innen sowie erschwingliche Preise für Verbraucher zu garantieren, zum Beispiel durch Eindämmung der Marktmacht großer Handelsketten.
Wir fordern den SPD-Parteivorstand, die Bundestagsfraktion und die SPD-Mitglieder in der Bundesregierung auf, die bisherigen Dogmen der Globalisierung und des Freihandels in Frage zu stellen und Kriterien zu entwickeln, wie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern und Völkern der Welt gerecht und nachhaltig organisiert werden können. Das bedeutet gleichzeitig Widerstand zu leisten gegen Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP, CETA, TiSA und alle sogenannten EU-Afrika „Partnerschaftsabkommen“ (EPAs).