Interview: „Ländliche Räume werden geradezu entleert“

Was Naturschutzexperte Lutz Ribbe über die europäischen Agrarpolitik kritisiert

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Herr Ribbe, die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Was hat die Agrarpolitik der Europäischen Union damit zu tun?

Lutz Ribbe: Diese Krise wird in erster Linie durch die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik der EU – kurz: GAP – verursacht. Die will seit mehr als 60 Jahren die Produktivität der Landwirtschaft steigern, um unter anderem die Einkommen der Landwirte zu sichern. Tatsächlich haben auch noch nie so wenig Bauern so viel produziert wie heute. Und dennoch steckt gerade die bäuerliche Landwirtschaft in einer tiefen Krise: Sie sitzt in dieser Produktivitätsfalle.

Lutz Ribbe (60) ist Direktor der naturschutzpolitischen Abteilung von EuroNatur und Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Union.

Wie muss man sich diese vorstellen?
Überleben können nur noch industriell wirtschaftende Betriebe. Aber selbst die verkommen zu reinen Rohstoff-Lieferanten für eine immer zentralistischer organisierte Nahrungsmittelwirtschaft. Noch nie waren die sozialen und ökologischen Kollateralschäden dieser Agrarpolitik größer als heute: Bäuerliche Existenzen werden vernichtet, Natur, Umwelt und Klima werden übermäßig belastet, ländliche Räume geradezu entleert. Und dies, obwohl noch nie so viel Geld in die Landwirtschaft gesteckt wurde.

Das klingt dramatisch!
Das ist es auch. Dieses System kann man nur noch als pervers bezeichnen, doch die Agrarpolitiker lassen nicht vom GAP-Grundgedanken ab. Keiner von denen kann erklären, wie produktiv die Landwirtschaft eigentlich noch werden soll.

Wo liegen die Hauptprobleme?
Zuerst: Die GAP hat sich als Job- und Geldvernichtungsmaschine erwiesen. In Sachen Biodiversität und Gewässerverschmutzung, besonders beim Nitrat, werden zudem Schäden angerichtet, die man nicht mehr umkehren kann. Oder der Antibiotika-Einsatz in der intensiven Tierhaltung, die nur noch ekelerregend ist. Aber die Probleme gehen über Europa hinaus: Unsere gewaltigen Futtermittelimporte verursachen zum Beispiel in Südamerika riesige ökologische Schäden und führen zu sozialen Verwerfungen, weil die Agrarkonzerne rücksichtslos mit Land, Mensch und Natur umgehen. Und dann verursachen unsere Exporte besonders in Afrika und Asien weitere Probleme, weil sie die Absatzmärkte lokaler Bauern zerstören.

Worauf müsste sich die EU-Agrarpolitik konzentrieren?
Sie muss zunächst ihr eigenes Ziel ernst nehmen, nämlich ein „europäisches Agrarmodell“ einer multifunktionalen, bäuerlichen Landwirtschaft schaffen. Diese produziert gesunde Nahrungsmittel und erhält die vielfältigen ländlichen Räume. Vor ihr muss auch nicht die Umwelt geschützt werden. Davon wird zwar viel geredet, aber die Realität zeigt genau das Gegenteil. Und dann müssen die entsprechenden Instrumente zur Umsetzung geschaffen werden. Agrarpolitik muss mehr sein, als unser Steuergeld nur „grüner und gerechter“ zu verteilen. Viele Probleme lassen sich mit Geld eben nicht lösen.

Wo sitzen die Hauptgegner der Agrarwende?
Kurioserweise in den Chefetagen des Deutschen Bauernverbandes und seinem Brüsseler Dachverband. Und in den der Landwirtschaft vorund nachgelagerten Bereichen, in denen an dieser Form der Landwirtschaft viel Geld verdient wird. Es wird dort längst keine Politik mehr für Bauern, sondern nur noch für Konzerne und große agrarindustrielle Betriebe gemacht.

Was sollte zum Thema Agrarwende im neuen Koalitionsvertrag stehen?
Dass wir die ausufernde Produktivitätsentwicklung im Zaum halten müssen, dass wir der Natur mehr Platz geben und Tiere mehr Rechte bekommen. Dass also das Ordnungs-, Tierschutz- und Baurecht stringenten Nachhaltigkeitskriterien zu folgen hat. Und dass die Märkte in Ordnung gebracht werden müssen. Die eingesetzten Steuermilliarden brauchen einen genau zu definierenden gesellschaftlichen Mehrwert.

Interview: Eckart Kuhlwein