Interview mit Jens Martin vom brandenburgischen Landesamt für Umwelt über Naturschutz in der Flusslandschaft der Jahre 2024/25: Stepenitz
Mit der gemeinsamen Kampagne "Flusslandschaft der Jahre" wollen die NaturFreunde Deutschlands und der Deutsche Angelfischerverband die Bevölkerung für die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Bedeutung der Flüsse sowie der sie umgebenden Landschaft sensibilisieren. Flusslandschaft der Jahre 2024/25 ist die Stepenitz (Elbe), einer der ökologisch wertvollsten Flüsse Brandenburgs.
In diesem Interview erklärt Natur- und Hochwasserschutzexperte Jens Martin vom brandenburgischen Landesamt für Umwelt (LfU), wie Altarme am Unterlauf der Stepenitz wieder an das Fließgewässer angeschlossen wurden, welche Besonderheiten dabei berücksichtigt werden mussten und wie sich die Renaturierung auf Flora und Fauna auswirkt.
Welche Beziehung hast du zur Flusslandschaft der Jahre 2024/25: Stepenitz?
Jens Martin: Die Stepenitz ist ein ganz wesentlicher Landschaftsbestandteil der Prignitz und ein wichtiger, weitestgehend naturnaher Nebenfluss der Elbe, wobei jedoch besonders der Unterlauf zwischen Perleberg und der Mündung in die Elbe bei Wittenberge eher strukturarm ist. Zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen für den Deichbau an Elbe beziehungsweise dem Unterlauf der Stepenitz befinden sich in der Stepenitzniederung. Dazu gehören auch mehrere Altarm-Anschlüsse und strukturverbessernde Maßnahmen an der Stepenitz, die im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutzvorhaben Ortslage Breese geplant und teilweise bereits umgesetzt wurden. Konkret wurden im Jahr 2023 zwei Altarme oberhalb von Breese mit Ausbaulängen von 190 Metern beziehungsweise 520 Metern angeschlossen.
Warum ist es wichtig, Flüsse zu renaturieren und wieder in einen naturnahen Zustand zurück zu führen?
Strukturreiche Flüsse sind eher in der Lage, qualitative Beeinträchtigungen durch Wasserverschmutzungen zu kompensieren, als strukturarme. Ebenso können klimabedingte Niedrigwasserereignisse bei größerer Strukturvielfalt besser aufgefangen werden und der Fluss kann seine Eignung für strömungsliebende Arten erhalten. Grundsätzlich sind Habitat- und Strukturvielfalt Garanten für eine artenreiche Besiedlung eines Flusses und damit auch als Rückzugsraum für anspruchsvolle und in unserer Zeit zwangsläufig seltene Tier- und Pflanzenarten.
Durch Renaturierungen kann es zudem gelingen, Fluss und Aue wieder miteinander zu verzahnen. Das bezieht sich auch auf das Wasserspeichervermögen einer Aue, indem gegebenenfalls der Grundwasserspiegel angehoben wird oder Flächen in der Niederung wieder überstaut und als Retentionsraum wirksam werden.
Was ist beim Anschluss der Altarme der Stepenitz zu beachten, wie geht man vor?
Von maßgeblicher Bedeutung ist die Frage nach der Flächenverfügbarkeit für die neu oder wieder anzuschließende Flusswindung. Neben dem eigentlichen Lauf gilt das allerdings auch für angrenzende Flächen, die bei stattfindender Ufererosion oder durch Rückstau zwangsläufig betroffen sind. Auch kann es bei Hochwasser zur Ablagerung von Sedimenten auf diesen Flächen kommen. Können diese Flächen nicht erworben werden, hat das automatisch Folgen für die Dimensionierung und Gestaltung eines Altarmes. Bei dem Projekt des LfU erwies es sich als günstig, dass die historischen Flussläufe der Altarme noch als Flurstücke existierten. Deren Verfüllung geschah erst um den Ersten Weltkrieg herum. An diesen Flurstücksverläufen haben wir uns orientiert.
Grundsätzlich erfordern derartige Baumaßnahmen an Gewässern I. Ordnung ein umfangreiches Planungs- und Genehmigungsverfahren, um zum Beispiel mögliche negative Auswirkungen auf Anlieger und Unterlieger zu vermeiden. Unsere Maßnahmen sind Bestandteil des Kompensationskonzeptes für das Deichbauvorhaben „HWS OL Breese“ und wurden in diesem Zusammenhang nach umfangreichen Abstimmungen planfestgestellt.
Auf was für Herausforderungen seid ihr gestoßen, welche Besonderheiten gab es?
Bei Planung und Bauausführung sind zwangsläufig die anstehenden Substrate zu beachten. In unserem Abschnitt der Stepenitz stehen überwiegend nur Fein- bis Mittelsande an und die Stepenitz hat sich dadurch und begünstigt von umfangreichen Begradigungen in den zurückliegenden Jahrhunderten stetig eingetieft – mit entsprechenden Folgen für die angrenzenden Flächen. Da eine gezielte Sohlaufhöhung nicht ohne weiteres umsetzbar war, haben wir auf Anregung unserer Baudienststelle mehrere „Sohlgurte“ aus Wasserbausteinen in den beiden Altarmen eingebaut, die zumindest in diesen Bereichen eine weitere Eintiefung verhindern. Gleichzeitig sorgen sie für die Ausprägung sehr heterogener Sohlstrukturen im gesamten Altarm-Lauf.
Da es dem LfU leider nicht gelang, alle Flächen im unmittelbaren Umfeld der Baumaßnahmen zu erwerben, mussten wir Kompromisse eingehen und an einigen besonders exponierten Bereichen Ufersicherungen vornehmen. Zumindest konnten wir einen zehn Meter langen Uferrandstreifen sichern, so dass durchaus Spielraum für eine gewisse eigendynamische Entwicklung besteht. Bei den nächsten Altarmen werden die Grenzen jedoch weniger eng gesteckt sein.
Alles in allem ging die Umsetzung jedoch relativ problemlos vonstatten. Trotz Bauzeit im Winter 2022/23 spielte das Wetter mit und es gab kein nennenswertes Hochwasser in der Stepenitz. Die größten Probleme hat uns tatsächlich der Biber bereitet, der sich spontan in die Weidenstecklinge zur lokalen ingenieurbiologischen Ufersicherung verliebte. Da musste schnell reagiert werden. Gut geholfen hat dann unter anderem eine Ablenkfütterung aus Weidenverschnitt.
Begleitend zum Anschluss der Altarme wurden im letzten Jahr noch umfangreiche Gehölzpflanzungen vorgenommen sowie insgesamt 3.000 Jungpflanzen von sogenannten Stromtal-Arten zur Aufwertung der gewässernahen Strukturen im Jahr 2024 ausgebracht. Darunter sind sehr seltene Arten wie Sibirische Schwertlilie, Großer Wiesenknopf, Gelbe Wiesenraute und Glanzwiesenraute, die nur noch wenige Vorkommen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe Brandenburg hatten und gezielt im Auftrag des LfU vermehrt wurden. Die Altarm-Strukturen sollen somit für diese Arten als Trittsteinbiotobe an der unteren Stepenitz fungieren.
Welche positiven Auswirkungen auf Flora und Fauna und die Gewässergüte der Stepenitz sind jetzt schon erfahrbar?
Dazu kann ich noch nicht viel sagen, da ein diesbezügliches mehrjähriges Monitoring noch in der Vorbereitung ist und erst 2025 beginnen wird. Allerdings wurden bereits kurz nach dem Wiederanschluss zahlreiche Neunaugen-Querder (Larven) gesichtet. Die Groppe (Cottus gobio) ist vor Ort, ebenso wie die Blauflügel-Prachtlibelle (Calopteryx virgo). Der Flussuferläufer hat im vergangenen und in diesem Jahr erfolgreich auf den Sandbänken gebrütet. Auf der Sohle haben sich verschiedenste Makrophyten angesiedelt. Darunter auch der Flutende Hahnenfuß (Ranunculus fluitans), was mich sehr freut. Dieser indiziert eine relativ gute Wasserqualität.
Mollusken und besonders Großmuscheln benötigen etwas länger, um in einem neuen Gewässerlauf (wieder) in Erscheinung zu treten. Ich rechne jedoch in zwei bis drei Jahren mit den ersten Nachweisen von Großmuscheln einschließlich Unio crassus (Kleine Flussmuschel). Aktuell gibt es von dieser Art keine Lebendnachweise in der unteren Stepenitz. Während der Bauarbeiten fanden sich allerdings Schalenfunde aus der Zeit der Altarm-Verfüllung. Im Mittel- und Oberlauf der Stepentz ist die Art jedoch stetig vorhanden und wird sich zweifellos auch hier dank ihrer Wirtsfische wieder ansiedeln.
Fragen Gabriele Meyer, NaturFreunde Brandenburg
(Dieses Interview ist zuerst erschienen in Sandlatscher 4-24, Magazin der NaturFreunde Brandenburg).