Rede von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands, auf der Abschlusskundgebung der IAA-Demo in Frankfurt
Liebe Freunde der Natur, der Umwelt und des Friedens,
darum geht es uns heute: um den Schutz der Natur, um ein soziales Zusammenleben und um die Bewahrung des Friedens. Wir sind nicht nur hier, weil nebenan die Automobilwirtschaft ihr alljährliches Hochamt zelebriert, sondern weil
- wir die Arroganz und Ignoranz der selbst ernannten Elite des Industriezeitalters anklagen angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise;
- wir im Geschäftsmodell der Autobauer, möglichst immer größere, schwerere und schnellere sogenannte Premiummodelle zu verkaufen, einen Angriff auf Vernunft, Gemeinwohl und Zukunft sehen;
- es ihnen vor allem um den höchstmöglichen Profit geht und nicht um Nachhaltigkeit;
- wir die organisierte Verantwortungslosigkeit der verantwortlichen Manager satt haben, deren Geschäftsmodell auch Täuschen, Vertuschen, Verschleiern und Tricksen heißt. Sie haben immer wieder verhindert, dass es zu einer sozial-ökologischen Transformation kommt.
Und niemand aus der Leitung von VW, Mercedes, Audi oder BMW kann sagen, sie wüssten nicht, was sie tun.
Seit mehr als 30 Jahren sind die Fakten bekannt
Seit mehr als 30 Jahren sind die Fakten bekannt. Im Jahr 1987 haben die Wissenschaftler der Deutschen Physikalischen und der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft in einem gemeinsamen Aufruf vor der drohenden Klimakatastrophe gewarnt. Seitdem gibt es immer mehr Fakten und Warnungen. Und das waren schon damals fast genau die Daten, die heute wissenschaftlicher Standard sind.
Seit Ende 1989 liegt ein vom Bundestag durchgerechnetes Reduktionsszenarien für Treibhausgase vor, das von einer Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad Celsius ausgeht und konkrete Maßnahmepakete aufzeigt. Also: Niemand aus der Industriearistokratie kann sagen, er hätte die Gefahren nicht gekannt. Und niemand kann sagen, er hätte nicht gewusst, was zu tun sei.
Tatsache ist, dass der reale Kraftstoffverbrauch gegenüber den 1980er-Jahren kaum gesunken ist. Statt auf mögliche Effizienz zu setzen, wurden die Autos schwerer, PS-stärker, schneller und haben viele Extras, die zusätzlich Kraftstoff brauchen. Der Verkehrssektor ist der Bereich, der einen weiterhin viel zu hohen Anteil an den Treibhausgasen hat. Und wo sich nur wenig bewegt.
Trotz aller grünen Werbung für Blue-Cars: Die Automobilwirtschaft hat sich als starke Verhinderungsmacht gegen den Klimaschutz formiert. Anfang der 1990er-Jahre sollte es beispielsweise zu einer Flottenverbrauchsregelung kommen, die aber die deutsche Autowirtschaft in Bonn und in Brüssel verhindert hat. Stattdessen kam es zum Einspritzdiesel und zum Aufstieg der SUVs. Bis dahin hatte der Diesel einen Anteil von rund 19 Prozent, danach stieg der auf circa 48 Prozent bei den Neuzulassungen auf. Der geringere Kraftstoffverbrauch sollte das grüne Gewissen sein in immer größeren Autos.
Der Verbrennungsmotor hat einen Nutzungsgrad von 18 Prozent
Es ist ein Irrsinn, dass der Vorstadtpanzer SUV heute die höchsten Zulassungszahlen hat. Und er wird auch nicht besser, wenn damit zum Bio-Markt gefahren wird. Lassen wir uns nicht täuschen: Trotz des protzigen Glitzers, trotz immer bequemerer Ausstattung, trotz toller Designs – mit dem traditionellen Verbrennungsmotor ist das Auto eine antiquierte Technik, die bei einem energetischen Nutzungsgrad von gerade einmal 18 Prozent liegt. Das ist armselig.
Und auch bei der E-Mobilität sagen wir nicht einfach Ja. Sie darf nicht zu neuer Sklavenarbeit beim Abbau der Rohstoffe führen, nicht zu immer mehr Ressourcenverbrauch und auch nicht zu neuen ökologischen Folgeproblemen. Uns geht es um eine sozial-ökologische Transformation und damit zu einer grundlegenden Neuordnung von Mobilität, nicht nur um einen Austausch von Technik.
Wir sind auch hier, weil wir nicht nur die Autoindustrie anklagen, sondern auch die Politik, die in dem Milliardenspiel mitmacht. Sie hat die Ideologie der autogerechten Stadt zugelassen und ist ihr gefolgt. Sie ist verantwortlich für eine Bau-, Planungs- und Mietpolitik, die die Bürgerinnen und Bürger aus den Innenstädten verdrängt und die Stadtteile „entmischt“. Auf deutsch: Sozial schwächere Schichten wurden verdrängt, die Mieten steigen ins unerträgliche. Und sie hat die Bahn geknebelt, die Modernisierung der öffentlichen Verkehrssysteme verschlafen, im ländlichen Raum Strecken gestrichen und Fahrpläne ausgedünnt.
Die Verkehrsminister sind nur Lobbyisten der Straße
Egal ob Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt oder Andreas Scheuer – sie sind Autominister, Lobbyisten der Straße, aber keine Verkehrsminister, die sich für eine soziale und ökologische Mobilität einsetzen. Jetzt wollen sie den Emissionshandel, jenes aus Nordamerika übernommene Instrument des Neoliberalismus. Wir dagegen wollen eine sozial-ökologische Transformation mit klaren Vorgaben und klaren Zielen. Für die Verkehrswende ist die Politik da und nicht der Markt.
Wir sind hier, weil die Lage ernst ist. Unser Mainzer Mitbürger, der Nobelpreisträger für Chemie von 1995 Paul Crutzen, warnt, dass wir heute in der Erdepoche des Anthropozän leben. In diesem Zeitalter des Menschen wird die ökologische Selbstvernichtung der Menschheit denkbar. Das ist wahr.
Im Jahr 2040 werden wir wahrscheinlich eine globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius erreicht haben. 2 Grad werden nach dem derzeitigen Trend wahrscheinlich um das Jahr 2065 Realität werden. Schon diese 0,5 Grad mehr bedeuten, dass über 400 Millionen Menschen ihre Ernährungsgrundlagen verlieren, weitere über 100 Millionen Menschen keinen Zugang mehr zu Trinkwasser haben und die Korallenriffe, immerhin das zweitgrößte Ökosystem der Erde, unwiderruflich absterben werden.
Wir leben auf Kosten der Substanz
Schon heute erreichen wir den Welterschöpfungstag Anfang Juli. Den Rest des Jahres leben wir auf Kosten der Substanz. Wir bräuchten bereits, um ökologisch verträglich zu sein, 1,75 Erden. In vier von neun Dimensionen, die für das menschliche Leben essentiell sind, werden planetarische Grenzen überschritten.
Was passiert erst, wenn weitere 1,5 Mrd. Menschen zusammen mit der nachholenden Industrialisierung und der Ausbreitung des modularen Konsums dazu kommen?
Es ist Zeit für eine sozial-ökologische Transformation. Sie braucht eine Neuordnung der Mobilität. Und das ist nicht möglich ohne mehr Verantwortung, ohne mehr Demokratie, ohne mehr Gerechtigkeit und ohne eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Wir sind hier, weil wir die Verkehrswende jetzt! fordern – eine Verkehrswende für ein menschenwürdiges Leben.
Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands
(auf der Abschlusskundgebung der IAA-Demo in Frankfurt)